INVASIVE ART

Bis zum Jahr 2017 definierte das Bundesnaturschutzgesetz: „Als heimisch gilt eine wild lebende Tier- oder Pflanzenart auch, wenn sich verwilderte Tiere oder durch menschlichen Einfluss eingebürgerte Tiere oder Pflanzen der betreffenden Art im Inland in freier Natur und ohne menschliche Hilfe über mehrere Generationen als Population erhalten.“ Ergo: Der seit den 1920er Jahren in Deutschland ansässige Waschbär galt als heimisch.

Dann trat die EU-Verordnung Nr. 1143/2014 „über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver [meint: eindringender] gebietsfremder Arten“ in Kraft, und plötzlich fand sich der Waschbär in unerwünschter Gesellschaft von 36 anderen Tier- und Pflanzenarten wieder, die als Bedrohung für die europäische Fauna und Flora deklariert wurden.                

Im Klartext: Der Waschbär gilt seither als „invasive gebietsfremde Art von unionsweiter Bedeutung“, was entsprechend der Begriffsbestimmung der Verordnung meint, „eine […] Art, deren nachteilige Aus­wirkungen für so erheblich eingeschätzt wurden, dass sie ein konzertiertes Vorgehen auf Unionsebene gemäß Artikel 4 Absatz 3 erfordern“ – und das ohne irgendeinen belastbaren Beleg für seine Invasivität!

Denn dass der Waschbär auf dieser Unionsliste gelandet ist, war nicht die Folge einer wissenschaftlichen Datengrundlage, sondern resultierte aus der einzig vorhandenen und damit nicht repräsentativen Risikobewertung aus Großbritannien, die noch nicht einmal offiziell bei der EU-Kommission eingereicht worden war, weil sie eben nur den Inselstaat betraf.

Neben Polen, der Niederlande und Belgien hatte im Übrigen auch Deutschland in der Abstimmung des IAS-Komitees im Dezember 2015 gegen eine Annahme der Liste gestimmt und gefordert, insbesondere jene Tier- und Pflanzenarten ins Visier zu nehmen, die in Europa noch nicht weit verbreitet waren, sodass ihre Bekämpfung noch ansatzweise möglich gewesen wäre. Für Waschbär, Nutria, Signalkrebs und andere galt das in Deutschland schon damals nicht.  

TÖTEN IST PFLICHT

Nicht selten wird auf die Vorgaben der EU-Kommission verwiesen, die eine Eindämmung von als invasiv eingestuften Arten geradezu vorschreibe. Tatsächlich ist das Ziel der entsprechenden EU-Verordnung (EU) 1143/2014 dabei jedoch keinesfalls eine scharfe Bejagung. Die Mitgliedsstaaten werden lediglich verpflichtet, ein Management für diese Arten einzuführen bzw. umzusetzen.

Für das Management kommen neben letalen (tödlichen) auch ausdrücklich non-letale Maßnahmen in Frage – letztere gerade auch bei weit verbreiteten und bereits etablierten Arten wie dem Waschbären in Deutschland oder der Nutria in Italien. Dort hat man im Einvernehmen mit der EU-Kommission bereits vor Jahren damit begonnen, Nutrias flächendeckend zu sterilisieren, und die Bestände so auf bis zu 40 % ihrer ursprünglichen Größe reduzieren können (siehe: nutria-info.com).

Erfolg von Bejagung

„Ich kenne keinen einzigen Wissenschaftler oder Jagdexperten, der ernsthaft glaubt, den Waschbären mit jagdlichen Mitteln Einhalt gebieten zu können“, konstatierte Dr. Ulf Hohmann, Jäger und promovierter Experte für Waschbärpopulationen, in einem Interview mit der Badischen Zeitung im April 2017. Er vermutet hinter der Hetzkampagne der Jagdverbände gegen den Waschbären vielmehr den Versuch, Fördermittel für die Fallenjagd zu ergattern, der ein beträchtlicher Teil der Bären zum Opfer fallen.

Populationsökologisch hat sich gezeigt, dass die Bejagung die Populationsdichte nicht reduzieren wird. Denn Waschbären können – wie viele andere Wildtierarten auch – Populationsverluste durch eine vermehrte Fortpflanzungsrate ausgleichen. Man geht sogar davon aus, dass sie das Geschlecht ihrer Ungeborenen beeinflussen können (mehr Reproduktionsdruck = mehr weibliche Welpen). Auch würden bei einer „Entnahme“ neue Tiere aus den umliegenden Gebieten in das dann unbesetzte Revier nachrücken.

Der Mensch sollte also wie so oft seine Finger aus dem Spiel lassen. Denn jedes Habitat lässt nur eine bestimmte Anzahl von Tieren zu (in natürlicher Umgebung etwa 1 bis 2 Bären je Hektar, in der Stadt 50 bis 150); dann sind Nahrungsquellen und Rückzugsmöglichkeiten erschöpft und reduzieren Tierseuchen wie Staupe und Parvovirose die übergroßen Bestände ohnehin.

Bedrohung heimischer Arten

Waschbären sind von Haus aus faule Allesfresser. Sie verhalten sich ausgesprochen opportunistisch, haben sich auf keine besondere Nahrung spezialisiert und nehmen das, was ohnehin im Überfluss vorhanden ist. Das heißt zum einen, dass sie zu keinem heimischen Prädatoren (Räuber) in Nahrungskonkurrenz stehen, und zum anderen, dass auch keine heimischen Beutetiere in Gefahr sind, von der Bildfläche zu verschwinden – das schaffen vielmehr wir Menschen mit intensiver Landwirtschaft, Flächenfraß und Umweltgiften.

Berit und Frank-Uwe Michler legten sich im Fazit ihrer mehrjährigen und umfangreichen Feldstudie im Müritz-Nationalpark, einem sehr artenreichen Habitat, fest: „Eine Beeinträchtigung der Populationsentwicklung anderer Arten durch den Waschbären ist in Mitteleuropa momentan nicht gegeben. Die Annahme, dass der Waschbär durch Prädation lokale Bestände naturschutzfachlich relevanter Tierarten beeinträchtigen kann, konnte anhand der vorliegenden Ergebnisse aus dem Gebiet des Müritz-Nationalparks nicht bestätigt werden. Die im Projekt durchgeführten Nahrungsanalysen haben gezeigt, dass die meisten im Gebiet vorhandenen geschützten Arten nicht gefressen wurden.“ (Nachzulesen in: „Neubürger auf dem Vormarsch – Aktuelle Erkenntnisse zur Lebensweise und zu den ökologischen Auswirkungen des Nordamerikanischen Waschbären in Deutschland“.)

ÜBERTRAGUNG VON KRANKHEITEN

Der einzige Parasit, den der Waschbär bewirtet und der dem Menschen in unterschiedlichen Verlaufsformen theoretisch gefährlich werden könnte, ist der Spulwurm. Aus ganz Europa ist jedoch bis heute nur ein einziger Fall bekannt, in dem ein Mensch, der sehr intensiven Kontakt zu Waschbären hatte, befallen wurde. Durch einfache hygienische Maßnahmen – etwa dem Tragen von Einmalhandschuhen beim Entfernen von Waschbärenkot – lässt sich zudem auch diese Gefahrenquelle effektiv ausschalten.

Das Schreckgespenst, dass Waschbären Räude, Staupe und Parvovirose auf unsere Haustiere übertragen, lässt sich ebenfalls schnell entkräften: Räude ist bei Hunden wie Katzen gut behandelbar (Katzen erkranken ohnehin eher selten). Und in Zeiten des vermehrten Imports von Heimtieren aus Hochrisikoländern sollte jeder verantwortungsbewusste Halter sein Haustier ohnehin gegen Staupe, Parvovirose und auch Tollwut geimpft haben. Letztere kommt im Übrigen in Deutschland seit 2008 gar nicht mehr vor.